Bundesweit wurden im Jahr 2023 in insgesamt knapp 12.500 Fällen Gutachten zu Behandlungsfehler-Vorwürfen angefertigt. Davon entfielen auf Baden-Württemberg 1.324 Fälle, bei denen der Medizinische Dienst Baden-Württemberg auftragsgemäß tätig wurde. Bei jedem vierten Gutachten (25 Prozent) wurde ein Schaden in Zusammenhang mit einem gutachtlich bestätigten Behandlungsfehler festgestellt. In diesen 331 Fällen prüften die Gutachterinnen und Gutachter, ob der gesundheitliche Schaden auch auf den Behandlungsfehler zurückzuführen war. Die Kausalität wurde in 270 der 331 Fälle bejaht. Das entspricht 20,4 Prozent aller Begutachtungen. In 5,1 Prozent lag zwar ein Behandlungsfehler vor, jedoch war für die Patientin oder den Patienten kein Schaden entstanden. In nur wenigen Fällen blieb die Kausalität gänzlich unklar.
„Umgekehrt bedeutet dies aber auch: In 69,9 Prozent aller Fälle, die wir zur Begutachtung erhielten, lag kein Behandlungsfehler vor“, sagt Dr. Thomas Rösel, Leitender Arzt des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg.
Die Zahlen zeigen auch, dass nicht jeder nachgewiesene Schaden durch einen Behandlungsfehler bedingt ist. Ein unerwünschter körperlicher Zustand kann auch die Folge einer nicht zu verhindernden Komplikation einer Therapie sein.
Zumeist Orthopädie und Unfallchirurgie
Wie schon in den Vorjahren betrafen die meisten Fälle von vermuteten Behandlungsfehlern in Baden-Württemberg das Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie (335 Fälle, 25,3 Prozent). Danach folgten die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (156 Fälle, 11,8 Prozent), die Zahnmedizin (111 Fälle, 8,4 Prozent) und die Viszeralchirurgie (93 Fälle, 7 Prozent). Die Vorwürfe betrafen beispielsweise vermeintlich fehlerhafte Behandlungen bei Hüft- und Kniegelenksverschleiß, bei Knochenbrüchen, Sauerstoffmangel bei der Geburt, die Behandlung von Gallensteinen oder Zahnerkrankungen.
Schwerwiegende Ereignisse
Zwölf Todesfälle ließen sich nachweislich auf einen Behandlungsfehler zurückführen, urteilt der Medizinische Dienst Baden-Württemberg in seiner Jahresstatistik. Im Jahr 2022 waren es neun gewesen, im Jahr 2021 14 Todesfälle.
In der Jahresstatistik wurden auch die sogenannten „Never Events“ erfasst. Als solche werden schwerwiegende, aber sicher vermeidbare Ereignisse wie Seitenverwechslungen bei Operationen, eine Fehldosierung von Hochrisiko-Medikamenten oder zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen bezeichnet. In Baden-Württemberg wurden im Jahr 2023 vier solcher Ereignisse (2022: 8 Fälle; 2021: 3 Fälle) festgestellt.
Der Medizinische Dienst Baden-Württemberg weist darauf hin, dass die Zahlen der Jahresstatistik 2023 nicht repräsentativ sind. Sie zeigen nur einen Ausschnitt aus dem Begutachtungsgeschehen des Medizinischen Dienstes. „Eine Häufung in einem Fachgebiet sagt nichts über die Sicherheit aus“, urteilt Dr. Thomas Rösel: „Oftmals ist es in einem Fachgebiet für Patientinnen und Patienten einfacher, Fehler zu bemerken und Vorwürfe erheben zu können. Deshalb werden auch eher Fehler bei Operationen vorgeworfen als Fehler bei Medikationen.“
Geprüft werden Patienten- und Krankenunterlagen
Der Medizinische Dienst Baden-Württemberg erstellt zur Klärung des Vorwurfs eines Behandlungsfehlers ein medizinisches Sachverständigen-Gutachten. Grundlage sind die Patienten- und Krankenunterlagen wie beispielsweise Operationsberichte, aber auch die Aussage der Patientin oder des Patienten. Ein Fehler liegt dann vor, wenn die Behandlung nicht dem zum Zeitpunkt der Behandlung allgemein anerkannten, fachlichen Standard entspricht. Fehler können in den unterschiedlichsten Bereichen der medizinischen Versorgung entstehen – von der Aufklärung im Patientengespräch bis zur Befunderhebung, bei einer Operation oder der Auswahl von Medikamenten.
Für Versicherte ist die Frage des Vorliegens eines Behandlungsfehlers auch im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche bedeutsam.
„Statistik schafft Transparenz“
Andreas Klein, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg: „Mit der Jahresstatistik schaffen die Medizinischen Dienste Transparenz und steigern die Aufmerksamkeit für das Thema Behandlungsfehler, was einen wesentlichen Beitrag zur Patientensicherheit leisten kann. Patientinnen und Patienten, die einen Behandlungsfehler vermuten, erhalten durch unsere Begutachtungen wertvolle Unterstützung. Zudem bieten sie die Möglichkeit für Ursachenanalysen und eine Fortentwicklung der Sicherheitskultur in Baden-Württemberg.“
Die Gutachten des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg zu vermuteten Behandlungsfehlern werden interessensneutral erstellt und sind für gesetzlich Versicherte kostenfrei.
Weitere Hintergrundinformationen zum Thema und die Zahlen zum Download finden Sie auf unserer Themenseite Behandlungsfehler.
Hintergrundinformation
Nur der fachlichen und sozialen Expertise verpflichtet, ist der Medizinische Dienst unverzichtbar für die gut funktionierende ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung in Baden-Württemberg.
Seit der Gründung 1990 ist die Hauptverwaltung in Lahr/Schwarzwald angesiedelt. Elf Beratungs- und Begutachtungszentren sowie sechs Beratungsstellen garantieren eine flächendeckende Versorgung für Baden-Württemberg. Mit über 1.500 qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter rund 280 Ärztinnen und Ärzten sowie über 600 Pflegefachkräften, spielt der Medizinische Dienst Baden-Württemberg eine wichtige Rolle im Gesundheitswesen des Landes.